Der viel beachtete Wissenschaftler Franz Josef Radermacher arbeitet aktuell mit einem hochrangigen und interdisziplinären Expertenteam daran, das Zusammenwirken von regenerativen und anderen klimaneutralen Energieformen ganzheitlich zu betrachten. Radermacher ist als Universitätsprofessor seit Jahrzehnten durch seine visionären, praxisbezogenen Denkansätze zur Nachhaltigkeit profiliert. Er gilt als enger Berater von Bundesministern, Landesregierungen und Unternehmen. Seit fast 20 Jahren ist Radermacher Mitglied des internationalen Club of Rome, außerdem war er zehn Jahre Präsident des Senats der Wirtschaft, ist Mitglied des UN Council of Engineers for the Energy Transition (CEET) und Vizepräsident des Ökosozialen Forum Europa.

Debatte
Auf zwei Beinen stehen
Klimaschutz und Energiebedarf nicht als Gegensatz betrachten
In der politischen Diskussion um einen richtigen Weg zur Verhinderung einer Klimakatastrophe trennen sich die Forderungen meist in unterschiedliche „Wahrheiten“: Regulierungen und Verbote oder Bewahrung konventioneller Energiearten, ausschließlich regenerative Energie oder konventionelle Formen mit Klimaneutralität. Oft wird ein eher „Schwarz-Weiß-Denken" für die eine oder andere Richtung erstritten. Meist ist die Betrachtung auf die jeweils eigene Region bezogen, was richtig sein kann, wenn dadurch nicht Transformationen vernachlässigt werden, indem auf andere Regionen und deren Missstände verwiesen wird, die eigenen jedoch unkorrigiert bleiben. Zugleich wird so auch die globale Achtsamkeit vernachlässigt. Insbesondere mangelt es dann an finanzieller Unterstützung für erfolgreiche Transformationen in den ärmeren Teilen der Welt.
Das FAW/n und Global Energy Solutions haben unter der Leitidee „For Prosperity and Climate Neutrality“ die Frage untersucht, ob und wie für zehn Milliarden Menschen in 2050 eine Welt in Wohlstand und Freiheit so organisiert werden kann, dass sich die Lebensqualität, vor allem für den ärmeren Teil der Menschheit, deutlich verbessert, das Klimasystem stabilisiert, die biologische Vielfalt erhalten und ganz allgemein die Umsetzung der UN-Sustainable Development Goals (SDGs) erreicht werden kann. Das Projekt wurde im Zeitraum 2021 – 2023 durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit wesentlicher Beteiligung des damaligen Bundesminister Dr. Gerd Müller gefördert und durch einen großen Kreis von Partner aus der Wirtschaft unterstützt. Im Folgenden werden in 15 Punkten einige überraschende Einsichten und Vorschläge vorgestellt, die in der öffentlichen Diskussion oft als sich ausschließend erscheinen.
- Leitidee ist Energiewohlstand und Freiheitsrechte für alle, nicht die Verwaltung von Energieknappheit und die Perpetuierung von Armut.
- Die Welt kommt beim Klimaschutz und bei der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) nicht weiter. Das 1,5°C-Ziel wird wahrscheinlich schon 2030 gerissen werden. Die Umsetzung der SDGs bis zu diesem Zeitpunkt ist chancenlos.
- Die Bevölkerung der Entwicklungs- und Schwellenländer wächst in den nächsten 30 Jahren von fünf Milliarden auf sieben Milliarden Menschen an.
- Die nachhaltige Aktivierung der biologischen Systeme als CO2-Speicher ist ein entscheidender Beitrag zur Lösung des Klimaproblems. Konsequenter Regenwaldschutz ist ein besonders kluges unkompliziert aktivierbares Sofortprogramm zum Klimaschutz. Es kann und sollte ab sofort umgesetzt werden. Hilfreich ist auch ein entschiedenes Vorgehen gegen Methan-Leckagen. Die Meere absorbieren ständig mehr CO2 und sind sehr hilfreich.
Bild: Herausforderungen in den Bereichen Energie und Klima - Die reichen Länder (erweiterte OECD) haben Net-Zero für 2050 erklärt, die CC-Gruppe um China, Russland und die arabischen Staaten für 2060. Die Entscheidung über das Klima fällt allerdings wesentlich in den bevölkerungsreichen Entwicklungs- und Schwellenländern. Hier müssten sich die reichen Länder viel wirksamer einbringen. Der mancherorts zu beobachtende Versuch, diese Länder über Einschränkungen von Förderinstrumenten und über Finanzierungsverweigerung für Alternativen in ein Renewables Only-Programm zu drängen, ist nicht fair und wird scheitern.
- Klimaneutralität für die ganze Welt geht nur auf „zwei Beinen“. Erneuerbare Energien auf der einen Seite, grün-fossile Energien oder Kernkraft als Back-up auf der anderen Seite. Grün-fossil erfordert Carbon Capture, also das Abfangen von CO2. Carbon Capture ist der Joker. Bis 2050 wird es möglich werden, 30 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr über Carbon Capture zu neutralisieren.
- Elektrolyse-Wasserstoff statt Erdgas ist heute keine vollumfängliche Back-up-Option für die Welt, kann also die Notwendigkeit des Einsatzes fossiler Energieträger mit Carbon Capture nicht vollständig beseitigen. Dafür wären etwa 25.000 Gigawatt (GW) Elektrolysekapazität erforderlich. Bis 2050 sind weltweit aber höchstens 4.000 GW zu erwarten. Elektrolyse-Wasserstoff wird trotzdem wichtig werden, insbesondere auch für den Bereich synthetische Kraftstoffe im Mobilitätsbereich. In diesem Kontext hat Methanol das Potenzial zu einem „Game-Changer“ als wichtiger Energieträger für die Welt.
- Mobilität ist ein Schlüsselthema für Wohlstand und Freiheit. Batterie-Elektrik ist ein Baustein für dieses Thema, aber nicht die global wirkungsvolle Lösung für die weltweiten Mobilitätserfordernisse der nächsten Jahrzehnte. Vielmehr sind synthetische Kraftstoffe (Re-Fuels) für alle Bereiche der Mobilität dringend erforderlich. Eine zentrale Rolle kann in diesem Kontext und auch darüber hinausgehend für Methanol erwartet werden.
- Bei kluger Politik kann in internationaler Zusammenarbeit das BIP der Entwicklungs- und Schwellenländer von heute 20 Billionen bis 2050 auf 80 Billionen gesteigert werden (sechs Prozent Wachstum pro Jahr). Der Weg zu 80 Billionen BIP kann weitgehend klimaneutral ausgestaltet werden. Dies könnte die weltweite Verteilung der ökonomischen Gewichte erheblich verändern.
Chancen weltweiter Kooperation - Für den Auf- und Umbau der Energiesysteme im Globalen Süden ist eine Differenzkostenübernahme, etwa für CO2-Abscheidung und -Entsorgung sowie für den Bau nationaler und interkontinentaler Energieinfrastrukturen, durch den Norden erforderlich (nach dem Muster des sehr erfolgreichen Montrealer Protokolls im Bereich des Ozon-Schirms). Auf die reichen Staaten kommen dabei für die nächsten Jahrzehnte etwa 600 Milliarden Euro Belastung pro Jahr zu, für die EU-Staaten etwa 200 Milliarden Euro. Die genannten Kosten sind für die Bewältigung der Herausforderungen im Energie- und Klimabereich überschaubar. Die reichen Länder bringen dazu pro Jahr für die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern pro Kopf etwa 100 Euro auf. Das liegt deutlich unter dem mittleren Preis für die Vermeidung einer Tonne CO2 in den reichen Ländern. Mit Blick auf die so erreichbaren hohen CO2-Einsparungen in den Entwicklungs- und Schwellenländern geht es unter Beachtung aller direkten und indirekten Effekte der vorgeschlagenen Referenzlösung um einen CO2-Vermeidungspreis von etwa 40 Euro pro Tonne CO2. Ein sehr niedriger CO2-Vermeidungspreis. Eine günstigere Option wird sich kaum finden lassen.
- Die freiwilligen Klimaschutzzusagen (NDCs) der Staaten gemäß Paris-Abkommen, die häufig massive finanzielle Hilfen voraussetzen (sogenannte Conditional NDCs), sollten mit tatkräftiger Unterstützung der reichen Länder in konditionsfreie Zusagen weiterentwickelt werden.
- Eine Verständigung der Welt auf nicht-konditionierte NDCs kann mit finanzieller Unterstützung der reichen Länder zu einem tragfähigen globalen Cap-and-Trade-System zusammengeführt werden.
- Reiche Länder können Net Zero auf vielen Wegen erreichen, aber auf manchen Wegen nur mit großen Wohlstandsverlusten. Entwicklungs- und Schwellenländer sind in einer viel schwierigeren Situation. Sie benötigen deshalb erhebliche finanzielle Unterstützung, um Wohlstandsverluste im Kontext der Klima- und Energiefrage zu vermeiden.
Chancen weltweiter Kooperation - Ein kluger Plan für die Welt hat das Potenzial für ein Weltwirtschaftswunder.
Vertiefende Informationen zu dem Thema können unter www.fawn-ulm.de und www.global-energy-solutions.org gefunden werden.
Disclaimer: Der vorliegende Text beruht auf einem veröffentlichten Artikel aus dem Hintergrundmagazin SENATE.
