Debatte

Flügel statt Bremsen

Deutschland ist das Land der Dichter und der Denker. Wir Deutschen sind traditionell ein Volk von genialen Ingenieuren und Wissenschaftlern. Zahllose technische Innovationen „Made in Germany“ haben in den letzten hundert Jahren die Welt zum Besseren verändert. Nützliche Kleinigkeiten wie der Doppelkammerteebeutel oder das Kondom, revolutionäre Erfindungen wie die Röntgenstrahlung, der Dieselmotor oder die Kernspaltung. Wir sind Weltmarktführer in Betonpumpen, Duscharmaturen und Zahnarztstühlen. 

Aber ist das mit Verzicht und Reduzierung möglich? Löst es tatsächlich die Probleme der Welt, wenn wir weniger wachsen? Immerhin ging es selbst in der Natur noch nie um Reduktion und Verzicht. Schauen wir uns einen Kirschbaum im Frühling an. Der blüht! Kein Sparen, kein Vermeiden, kein Verzichten. Im Gegenteil. Der ist total verschwenderisch. Aber in seiner Verschwendung schafft er Leben für 200 andere Arten. Es wird viel geschaffen, damit Neues möglich ist.

"Umwälzende Ideen entstehen nur, indem wir unseren Blick erweitern"

Vince Ebert
Diplom-Physiker und Kabarettist

Und genauso sollte eine kluge Zukunftsstrategie auch für uns aussehen. Es muss weniger um Reduzieren und Verzichten gehen, sondern um Erfindungsreichtum und Kreativität. Denn die Geschichte der Innovationen zeigt eindeutig: Revolutionäre Durchbrüche kamen meist aus Bereichen, die man anfangs nie auf dem Schirm hatte. Porzellan wurde erfunden, weil die Alchemisten eigentlich Gold herstellen wollten. Tesafilm sollte ursprünglich Heftpflaster werden. Viagra wurde entdeckt, weil männliche Versuchspersonen ein Herzmedikament in der Testphase partout nicht mehr absetzen wollten. 

Leider setzt die derzeitige Politik keine Rahmenbedingungen mit der ergebnisoffenen Haltung „Mal sehen, welche Ideen, Technologien und Energieformen in der Zukunft entstehen werden“, sondern sie behauptet: „Wir wissen ganz genau, welche Technologien wir in 20 Jahren haben möchten. Und nur die fördern wir.“ Alles andere wird ausgeblendet, reglementiert, verhindert oder sogar verboten: Gentechnik, Stammzellenforschung, Verbrennungsmotoren, Ölheizungen, Kernenergie, Fracking. So eine Stimmung vor 500.000 Jahren, und die Sache mit dem Feuer wäre nie genehmigt worden.  

Um die großen Herausforderungen der Zukunft zu lösen, benötigen wir mehr Technologieoffenheit und mehr Wettbewerb. Denn wenn man überhaupt etwas mit Gewissheit über Innovationen sagen kann, dann nur, dass sie uns komplett überraschen werden.  

Vor 150 Jahren war man sich sicher, das größte Umweltproblem in Großstädten werde der Pferdemist sein. Halten Sie mich für verrückt, aber Pferdemist ist derzeit nicht unser größtes Problem. Möglicherweise werden unsere Urenkel ähnlich belustigt reagieren, wenn sie erfahren, dass wir uns Anfang des 21. Jahrhunderts Sorgen über unsere Erdölvorräte gemacht haben. Der Mensch ist innovativ und erfindungsreich. Die Steinzeit ist auch nicht zu Ende gegangen, weil es plötzlich keine Steine mehr gab. 

Es stimmt, wir haben derzeit noch keine global umsetzbare Lösung für das Problem des Klimawandels. Aber eine solche Lösung werden wir erst recht nicht bekommen, wenn wir mit einem umweltpolitischen Tunnelblick durch die Welt gehen. Kluge, umwälzende Ideen entstehen nur, indem wir unseren Blick erweitern und in allen Technologiefeldern forschen.  

Die Wissenschaft kann vielleicht die Höhe der Globaltemperatur im Jahr 2050 bestimmen. Aber kein Forscher der Welt kann eine fundierte Aussage darüber machen, welche Technologien eine zukünftige Gesellschaft zur Verfügung hat, um mit dieser Situation umzugehen. Daher liefert uns die Wissenschaft auch keine Patentrezepte, geschweige denn Lösungen, wie wir unsere Zukunft gestalten sollen. Sie bietet uns lediglich Methoden an, um immer bessere Erkenntnisse zu gewinnen auf deren Basis wir neue Wege für die Zukunft definieren können. Doch diese Zukunft ist und bleibt offen. 

Man kann bei einem Fahrzeug, das auf einen Abgrund zufährt, natürlich auf die Bremse drücken und es dadurch verlangsamen. Aber man kann eben auch auf dem verbleibenden Weg Flügel entwickeln. Für genau diese Art von Zukunftsgestaltung steht diese Stiftung.  

Es gibt Tausende sich widersprechende Szenarien, wann genau der Produktionsgesellschaft die Rohstoffe ausgehen werden. Doch es gibt kein einziges Szenario, dass der Menschheit jemals gute Ideen ausgehen werden.  

Lasst uns also lieber Flügel bauen und keine Bremsen! 

AutorVince Ebert

Vince Ebert, Jahrgang 1968, ist Diplom-Physiker, arbeitete als Unternehmensberater und startete 1998 seine Karriere als Kabarettist. Die ›FAZ‹ nennt ihn so »scharf wie hintersinnig«. Bekannt aus der ARD-Sendung ›Wissen vor acht – Werkstatt‹, begeistert er seit über 20 Jahren sein Publikum mit seinen wissenschaftlichen Bühnenprogrammen. Sein Motto: »Make Science Great Again« – das gilt in Zeiten wissenschaftlich begründeter Debatten mehr denn je. Vince Ebert lebt in Wien.