"Der Klimawandel ist ein globales Problem."
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Hüttl
Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer, Eco-Environment Innovation GmbH, Berlin
Unser Planet Erde ist vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstanden; seit etwa 3,7 Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde und vor etwa 300.000 Jahren begann der Homo sapiens seine bemerkenswerte Entwicklung. Von Anfang an befindet sich die Erde in einer ständigen Entwicklung, und dies gilt insbesondere für das Klima auf unserem Planeten. Es gab Phasen, in denen es kein Eis auf der Erde gab, und es gab Phasen mit viel Eis – einmal war unsere Erde sogar ein Schneeball.
Dennoch ist das, was wir derzeit mit unserem Klima erleben, neu: Warum?
Spätestens seit Anfang der 1970er Jahre können wir die Klimadynamik, insbesondere die Entwicklung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, nicht mehr mit natürlichen Faktoren erklären. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde der Mensch zu einem Geofaktor. Die enorme Bevölkerungsdynamik des Menschen mit aktuell acht und bald zehn Milliarden Menschen und vor allem die intensive Nutzung fossiler Energieträger durch den Menschen in Verbindung mit einer großflächigen Landnutzung haben zu einer dramatischen Entwicklung der Treibhausgasemissionen, vor allem von CO2, geführt. Dieser Prozess bewirkt eine verstärkte globale Erwärmung.
Seit den Verhandlungen über das Kyoto-Protokoll im Jahr 1995, verstärkt durch das Pariser Abkommen von 2015 zur Einhaltung des 1,5°C-Ziels, wissen wir, dass akuter Handlungsbedarf besteht: Wir müssen die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen reduzieren! Als Folge des gestiegenen gesellschaftlichen Bewusstseins haben sich die EU mit dem European Green Deal und viele andere Staaten auf Klimaneutralität geeinigt. Deutschland und andere EU-Staaten wollen Klimaneutralität nicht erst im Jahr 2050, sondern bereits im Jahr 2045 erreichen. Dieses Ziel kann nur realisiert werden, wenn wir aus der Treibhausgas emittierenden Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen. Nicht nur für wichtige industrielle Produktionsprozesse in der Chemie-, Zement-, Stahl-, Glas- und Düngemittelindustrie, sondern auch in den Sektoren Mobilität und Wohnen – hier geht es vor allem um Wärme – sowie in der Landnutzung bedeutet dies einen dramatischen Wandel unserer Energieversorgungssysteme. In der gesamten EU ist dazu ein weiterer massiver Ausbau CO2-freier erneuerbarer Energien geplant. In Deutschland beträgt dieser Anteil aktuell etwa 17 Prozent der Energiebereitstellung, wobei davon wiederum über 50 Prozent aus Biomasse stammen, insbesondere aus der Nutzung von Holz. Über alle Sektoren der Energieversorgung hinweg leisten Wind- und Sonnenkraft aktuell etwa 7-8 Prozent unserer Energieversorgung.
Auch wenn der Ausbau Erneuerbarer Energien in den letzten Jahren nicht sehr rasch vorankam, gab es in Deutschland im Jahr 2021 mit 484 neuen Windrädern mehr Windkraftanlagen – und auch Photovoltaikanlagen – als je zuvor. Trotzdem lag der Anteil der Erneuerbaren Energien im Sektor Strom mit etwa 42 Prozent deutlich unter den gut 46 Prozent des Vorjahres (2020). Grund hierfür war eine deutlich geringere Windhöffigkeit. Wegen dieser geringeren Windenergieausbeute und in der Konsequenz eines gesteigerten Kohleeinsatzes nahmen 2021 die CO2-Emissionen in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um etwa 4,5 Prozent zu.
Was den tatsächlichen Verbrauch elektrischer Leistung in Deutschland anbelangt, so liegt dieser bei etwa 80.000 Megawatt (MW) für einen typischen Werktag und bei ca. 40.000 bis maximal 60.000 MW an einem Wochenendtag. Aktuell beträgt die elektrische Leistung der konventionellen Kraftwerke in Deutschland etwa 110.000 MW. Mit dieser (noch) vorhandenen Leistung könnten wir also unseren Strombedarf nach wie vor decken einschließlich der „Auszeiten“ für Erhaltungs- und Reparaturarbeiten an den entsprechenden Infrastrukturen.
Mit der geplanten Beendigung der emissionsstarken Kohlekraftwerke und nach dem bereits vollzogenen Abschalten aller Atomkraftwerke sollen zur Sicherung der notwendigen Grundlast emissionsärmere Gaskraftwerke errichtet werden, die zukünftig auch mit Wasserstoff betrieben werden können. Parallel dazu müsste ein Teil der dann formal stillgelegten konventionellen Kraftwerke in die sogenannte Netzreserve überführt werden, um für bestimmte Bedarfssituationen, wie zum Beispiel Dunkelflauten, also für Zeiten ohne Sonnenschein und Wind, wieder zur Stromlieferung aktiviert zu werden. Wenn wir gleichzeitig von einer stärkeren Elektrifizierung ausgehen, zum Beispiel für die E-Mobilität oder im Bereich der Haushalte durch Wärmepumpen oder für die chemische Industrie, dann erhöht sich der Strombedarf abermals deutlich. Und um diesen zu decken, müsste der Ausbau der Erneuerbaren Energien nochmals erheblich gesteigert werden. Damit erhöht sich dann auch der bereits heute bestehende Bedarf an neuen Übertragungs- und insbesondere bei den Verteilnetzen.
Ein Effekt des Klimawandels ist anderes Wetter. Oder anders ausgedrückt: Ohne anderes Wetter gäbe es keinen Klimawandel. Dies mag banal klingen, ist aber für unsere Debatte hoch aktuell; denn verändertes Wetter heißt eben auch andere Windregime. Die Vorstellung, wir bauen verstärkt neue Windräder und ernten dann mehr Windenergie, ist – jedenfalls linear betrachtet – nicht richtig. Es kann mehr, aber auch weniger sein, so wie wir dies 2021 im Vergleich zu 2020 erlebt haben. Anderes Wetter betrifft auch die Sonnenenergie, zum Beispiel durch veränderte Bewölkung, sowie die Bioenergie, zum Beispiel durch veränderte Biomasseproduktion in Folge von Trockenheit, Überschwemmungen oder Schädlingsbefall.
"Der Klimawandel ist ein globales Problem."
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Hüttl
Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer, Eco-Environment Innovation GmbH, Berlin
Auch wenn der Sektor Strom durch gesteigerte Elektrifizierung verschiedener Bereiche an Bedeutung gewinnt, werden aktuell vor allem die beiden anderen Sektoren unserer Energieversorgung, nämlich Wärme (inklusive Kälte) und Mobilität, die zusammen über 75 Prozent unserer Energieversorgung ausmachen, intensiv diskutiert; denn in diesen Bereichen spielen die fossilen Energieträger – neben Kohle insbesondere Erdgas und Erdöl mit einem Anteil von bis zu 90 Prozent des Verbrauchs nach wie vor die zentrale Rolle. Somit gilt es, diese fossilen Energieträger durch einen neuen klimaneutralen Energieträger zu ersetzen. Dies ist Wasserstoff. Wasserstoff ist sicherlich der zentrale zukünftige Energieträger. Denn die politisch gesetzten Etappenziele zur Erreichung der Klimaneutralität in der EU können nur realisiert werden, wenn die fossilen Energieträger durch einen klimaneutralen Energieträger ersetzt werden. Schon deshalb ist klimaneutraler Wasserstoff nicht nur ein, sondern der zentrale Lösungsbeitrag für einen möglichst umfassenden Klimaschutz. Dabei geht es um nachweislich klimaneutralen Wasserstoff. Die Frage ist, wann steht Wasserstoff, und das heißt klimaneutraler Wasserstoff, in hinreichenden Mengen und zu entsprechenden Kosten zur Verfügung?
Von Anfang an wurde die Wasserstoffstrategie der EU darauf ausgerichtet, dass „grüner Wasserstoff“ zum Einsatz kommt – das ist klimaneutraler Wasserstoff hergestellt aus Wasser mit Windkraft und Sonnenenergie über das Elektrolyseverfahren. Mit diesem Vorhaben lassen sich auch die sporadisch auftretenden Stromüberschusssituationen für die Herstellung von Wasserstoff nutzen, also Strom aus Wind und Sonne, der bislang nicht genutzt werden kann, aber gleichwohl finanziell gefördert wird. Zu berücksichtigen ist zudem, dass klimaneutraler Wasserstoff nicht nur mit erneuerbaren Energien über das Elektrolyseverfahren, sondern auch auf anderen Wegen hergestellt werden kann. Stichworte sind hierbei blauer, türkiser oder auch roter Wasserstoff. Die EU wird bei der Nutzung von Wasserstoff auch auf Importe angewiesen sein. In Deutschland könnte der Importanteil bei etwa 70 Prozent des Bedarfs liegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Importe von grünem bzw. klimaneutralem Wasserstoff oder entsprechende Wasserstoff-Derivaten vor allem dann Sinn machen, wenn in den Exportländern der heimische Energiebedarf möglichst klimaneutral realisiert wird. Export von grüner Energie bei gleichzeitiger Weiternutzung fossiler Energieträger im Exportland ist für den Klimaschutz wenig hilfreich; denn Klimawandel ist ein globales Problem.
So richtig es ist, auf Elektrifizierung und direkte Wasserstoffnutzung (zum Beispiel für Stahl-, Zement- und Düngerproduktion, für Brennstoffzellen oder auch im Bereich Wärme) zu setzen, so zwingend notwendig ist es, Wasserstoff für bestehende Infrastrukturen, insbesondere für die existierende Antriebstechnologien im Bereich der Mobilität, zu nutzen. Denn trotz der Debatte in der EU, Verbrennungsmotoren bei Pkw-Neuzulassungen ab 2035 zu verbieten, gilt: Das Problem sind nicht die Verbrennungsmotoren, sondern die klimaschädlichen fossilen Kraftstoffe! Dies trifft in gleicher beziehungsweise vorrangiger Weise auf die Luft- und Schifffahrt sowie auf den Schwerlastverkehr zu. Und noch eines: Nur Technologieoffenheit wird der EU im internationalen Wettbewerb eine Führungsrolle in der Wasserstoffwirtschaft erhalten. Dazu ist eine breit angelegte Forschungs- und Anwendungsstrategie und deren unmittelbare Umsetzung ebenso notwendig wie die Einsicht, das Ganze als Lernprozess zu verstehen, bei dem Rückschläge als Erkenntnisgewinn betrachtet werden. In diesem Konzept existiert kein Widerspruch zwischen synthetischen Kraftstoffen und der E-Mobilität – sei es in der Luft, zu Wasser oder für den gesamten landgebundenen Verkehr. Denn es geht beim Klimaschutz nicht nur darum, zukünftige CO2-Emissionen durch neu zu bauende Infrastrukturen einschließlich neuer Antriebstechnologien zu vermeiden, sondern darum, auch heute schon alle möglichen CO2-Einsparungen vorzunehmen. Daher gilt es, auch zu bedenken, dass es einer gut fundierten Rahmensetzung bedarf, die als zentrale Priorität immer und überall den CO2-Fußabdruck berücksichtigt – auch wenn dies an der einen oder anderen Stelle schwierig und mit gewissen Unsicherheiten verbunden ist. Auch das ist dann ein konstruktiver Lernprozess.
Prof. Dr. Reinhard Hüttl ist seit Anfang 2021 geschäftsführender Gesellschafter und Wissenschaftlicher Direktor der Eco Environment Innovation GmbH (EEI) in Berlin, die sich mit Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit, des Klimaschutzes und der Energiewende befasst. Er war lange Jahre Mitglied des Vorstands des Forums für Zukunftsenergien e. V. sowie Mitinitiator der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech. Von 2008 bis 2017 war er deren Präsident. Als Vizepräsident war er am Aufbau der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus beteiligt und leitete von 2007 bis 2020 das Deutsche GeoForschungsZentrum in Potsdam. Er ist international vernetzt und Mitglied in zahlreichen Wissenschaftsakademien.